KI-Brillen, die Blinde durch die Stadt lotsen, sprechende Assistenten, die Sehbeeinträchtigten Orientierung bieten oder Apps, die die Umgebung erkennen und in Worte fassen: Mehr und mehr KI-basierte Technologien werden als Assistenzsysteme für blinde oder sehbeeinträchtigte Menschen eingesetzt oder entwickelt.
Apps
Insgsamt gebe es inzwischen mehr als hundert barrierefreie Apps als Alltagshelfer, wird Thomas Kahlisch, Direktor der Deutschen Zentralbücherei für Blinde zu Leipzig (DZB), unter anderem im Ärzteblatt zitiert. Eine App, die auf Künstlicher Intelligenz basiert, ist die „sprechende Kamera-App“ Seeing AI von Microsoft. Die App ist auch in deutscher Sprache erhältlich, allerdings derzeit nur für Apple-Geräte nutzbar. Mithilfe der Smartphone-Kamera und KI kann die App mit zahlreichen Funktionen den Alltag blinder und stark sehbeeinträchtiger Menschen erleichtern. Dazu gehören Texte vorlesen, Urlaubsfotos beschreiben, Dokumente erfassen, Produkte durch entsprechende Barcodes identifizieren, Geldscheine und Farben erkennen oder die aktuellen Lichtverhältnisse einordnen. Wird die App mit Fotos und Namen von Bekannten gefüttert, erkennt sie diese später namentlich. Noch im Entwicklungsstadium ist eine Funktion, die erkennt und beschreibt, was gerade um einen herum geschieht.
Übrigens: Eine App, die für Android verfügbar ist heißt Be My Eyes. Sie funktioniert ganz ohne KI. Stattdessen können die Nutzenden einen Anruf starten. Ehrenamtliche nehmen das Gespräch entgegen, um zu beschreiben, was sie gerade über die Kamera der Anrufenden sehen.
Sprachassistenten
„Sprachassistenten sind auch eine große Hilfe, vor allem für blinde Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen“ schätzt Thomas Kahlisch ein. Mit Sprachassistenten kann man per Sprachbefehl zum Beispiel Informationen abfragen oder Geräte steuern. Mehr zu den verschiedenen Möglichkeiten finden Sie in unserem Beitrag zu Sprachassistenten. Ein „Skill“, der sich insbesondere an blinde und sehbehinderte Menschen richtet, ist die Anfang 2021 vom Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband e.V. und weiteren Kooperationspartnern veröffentlichte Anwendung HÖRFILM. Mit ihr können Nutzerinnen und Nutzer die Hörfilmfassungen aktuell laufender Filme und der Filme in den Mediatheken der beteiligten Sender suchen und sie sofort abspielen.
Eine große Hilfe sind auch Bildschimleser, also sprach- und gestengesteuerte Bedienungshilfen. VoiceOver ist von Haus aus in Apple-Geräte integriert und wird generell als sehr positiv von den Nutzenden bewertet. Die Anwendung bietet zum Beispiel Audiobeschreibungen der Bildschirmelemente, kann Bilder beschreiben und Bildschirminhalte können automatisiert vorgelesen werden. Das Pendant für Android heißt TalkBack.
Smarte Brillen, Langstöcke und mehr
Ähnlich wie die schon erwähnte Kamera-App funktionieren Kameras, die sich an Brillen anbringen lassen oder ihr eigenes Gestell gleich mitbringen. Auch diese Geräte können unter anderem Texte lesen, Gegenstände finden, Farben erkennen oder Objekte wie Türen, Stühle oder Treppen erkennen.
Außerdem sind verschiedene Langstöcke auf dem Markt, die mit Sensoren Hindernisse erkennen und per Vibration darauf aufmerksam machen. Einige von ihnen können mit dem Smartphone gekoppelt werden und so zum Beispiel mit einem Sprachassistenten oder einer Navigationsapp verbunden werden. Über einen eingebauten Lautsprecher können dann zum Beispiel Informationen über Geschäfte in der Nähe abgerufen werden. Derzeit werden weitere Produkte entwickelt, die stark sehbeeinträchtigte und blinde Menschen dabei unterstützen sollen, sich im Alltag zurechtzufinden. Dazu gehören unter anderem KI-basierte Schuhe, die warnen, wenn sich ein Hindernis im Weg befindet, oder ein Rucksack, dessen Software trainiert wurde, anhand von Geräuschen Verkehrsteilnehmende (wie z.B. Bus, Auto, Hunde, Fußgänger) zu identifizieren und diese dann per Sprachausgabe zu beschreiben oder auch per Kamera Bordsteine oder herunterhängende Zweige erkennt.
Im Projekt „Digital souverän mit KI“ wird derzeit ein sogenannter Smart Cane („schlauer Gehstock“) getestet. Ein lokaler Partner in Wernigerode hat sogar einen Film dazu produziert. Die Rückmeldungen zu dem Assistenzgerät sind bisher sehr positiv, allerdings gibt es auch einige Wermutstropfen: Die Geräte sind gerade unter älteren Menschen selten bekannt, oft nicht in deutscher Sprache erhältlich und teuer.
Medizinischer Fortschritt
Neben der stetigen Weiterentwicklung von KI-Technologien, die Blinde und Sehbeeinträchtigte im Alltag unterstützen, gibt es auch im medizinischen Bereich rasante Fortschritte: So können KI-basierten Diagnoseverfahren dabei unterstützen, anhand der Analyse von Netzhautbildern Augenerkrankungen zu erkennen oder es wird erforscht, inwieweit Routineuntersuchungen wie ein Gesichtsfeldtest von zu Hause aus mit dem Tablet durchgeführt werden können. In Bremen werden sogar Hirn-Implantate entwickelt, die mit KI-Verfahren Seheindrücke für Blinde möglich machen sollen.
Weitere Informationen
Apps
Digital-Ratgeber.de: Apps für blinde und sehbehinderte Menschen (Stand 2020)
Stiftung Warentest: Apps für Sehbehinderte und Blinde (Stand 2016)
SWR: Apps für Blinde und Sehbehinderte (Video)
Hilfsmittel allgemein
Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband e.V.: Koordinationsstelle Hilfsmittelberater
Tipps für die Bedienung von Smartphone etc.
DBSV: Tipps rund um Smartphone und Co.
Digital-Kompass: Barrierefreiheit im Netz
Lesens- und Hörenswertes
Civic Innovation Plattform: „Soziale KI-Innovationen sind noch längst nicht ausgeschöpft!“. Andreas Bethke, (DBSV), über die Potenziale von KI für Menschen mit Seheinschränkung
Heikos.blog für Inklusion und Barrierefreiheit: Blog des Geschäftsführers des Blinden- und Sehbehindertenverein Hamburg (BSVH) (lokaler Partner bei „Digital souverän mit KI“)
Ärzteblatt: Digitale Sprachassistenten als Hilfe für blinde Menschen
Apfel-Pfleger.de: Jürgen Pfleger bietet Podcasts, einen Newsletter und (kostenpflichtige) Kurse rund um Apple-Produkte und deren Funktionen für blinde und sehbeeinträchtigte Menschen an.