In den vergangenen sechs Artikeln haben wir uns ausführlich dem aktuellen Stand um politische Bildung im Alter beschäftigt, die Frage geklärt, warum wir in der Demokratie Deutschland lebenslange politische Bildung auch bis ins hohe Alter brauchen und welche Ansätze es gibt, um eine stabile Demokratie zu erhalten bzw. zu fördern. In diesem letzten Artikel konzentrieren wir uns darauf, was getan werden muss, um die derzeitige Situation zu verbessern und bieten Empfehlungen und Ansätze für die politische Bildung im Alter:
1. Ältere Menschen als Zielgruppe politischer Bildung in den Blick nehmen
Zum aktuellen Zeitpunkt werden ältere Menschen bei der politischen Bildungsarbeit kaum berücksichtigt. Sie werden selten als eigene Zielgruppe politischer Bildungsangebote wahrgenommen. Zudem werden die Potenziale älterer Menschen bei der Arbeit gegen Rechtsextremismus zu wenig aktiv genutzt. Um dies zu ändern, müssen ältere Menschen als eigenständige Zielgruppe anerkannt und spezielle Programme für sie entwickelt werden. Ältere Menschen sind eine politisch sehr ernst zu nehmende Zielgruppe. Sie verfügen über wertvolle Lebenserfahrung und können Beiträge zur politischen Bildung leisten. Ihre Einbindung könnte zudem eine starke Front gegen extremistische Tendenzen schaffen. Um diese Potenziale zu nutzen, müssen politische Bildungsangebote aktiv auf ältere Menschen zugeschnitten sein. Es muss eine bewusste Strategie entwickelt werden, um sie einzubeziehen (vgl. Stollreiter 2011, S. 12).
Ältere Menschen können zudem als Botschafter wirken. Durch ihre Netzwerke, in Vereinen oder innerhalb ihrer Familien, können sie politische Bildung und demokratische Werte weitergeben. Das schafft eine generationenübergreifende Kette der politischen Bildung, die unsere Demokratie stärkt. Politische Bildung für ältere Menschen wirkt sich also direkt mehrfach und über mehrere Generationen aus. Politik, die ältere Menschen einbezieht, schafft nicht nur ein Gefühl der Zugehörigkeit, sondern fördert auch die Entwicklung einer inklusiven Gesellschaft.
2. Stabilität bei der Finanzierung politischer Bildungsangebote für ältere Menschen
Die Finanzierung politischer Bildungsangebote muss langfristig und stabil sein, um Programme für ältere Menschen zu etablieren. Derzeit gibt es so gut wie keine langfristig angelegten und finanziell gut ausgestatteten Projektmittel für politische Bildungsangebote für Senioren und Seniorinnen. Um auch ältere Menschen zu erreichen, muss die Politik die Mittel für politische Bildung erweitern und die Finanzierung auf eine stabile Grundlage stellen.
Um dieses Problem zu lösen, müssen die bestehenden Finanzierungsstrukturen geändert und neue Programme speziell für politische Bildung im Alter geschaffen werden. Das bedeutet, dass Förderprogramme wie „Demokratie leben!“ und parteinahe Stiftungen ihre Richtlinien erweitern sollten, um altersunabhängige Förderungen zu gewährleisten. Zusätzlich könnten neue Förderprogramme eingeführt werden, um die Finanzierung politischer Bildung für ältere Menschen unabhängig von Teilnehmendenbeiträgen sicherzustellen. Ein möglicher Ansatz ist, sich an den erfolgreichen Modellen der politischen Kinder- und Jugendbildung (über den Kinder- und Jugendplan) zu orientieren. Diese Modelle basieren auf langfristiger Planung und breiter finanzieller Unterstützung. Es braucht also eine klare Verankerung institutioneller politischer Bildung zur Stärkung zivilgesellschaftlichen Engagements in Bundesprogrammen (wie zum Beispiel „Demokratie leben!“ beim BMFSFJ, „Bildungskommunen“ beim BMBF).
Die Bundeszentrale und die Landeszentralen für politische Bildung sowie lokale Bildungseinrichtungen sollten spezielle Mittel erhalten bzw. beantragen können, um sich an den Bedürfnisse älterer Menschen auszurichten. Diese Mittel sollten vor allem dazu verwendet werden, um politische Bildungsangebote für vulnerable ältere Menschen zu entwickeln und deren Selbstwirksamkeit und gesellschaftliches Eingebundensein zu fördern. So können ältere Menschen nicht nur umfassendere Bildungsangebote erhalten, sondern auch in ihrer Rolle als aktive Bürger gestärkt werden (vgl. BAGSO 2021, S. 8).
3. Gemeinschaften bilden, auch zwischen den Generationen
Politische Bildung kann Brücken zwischen Menschen, gesellschaftlichen Gruppen und Generationen bauen, indem sie den Austausch fördert und gemeinsame Erfahrungen schafft. Programme, die interkulturelle und intergenerationelle Zusammenarbeit betonen, können dazu beitragen, Vorurteile abzubauen und das Verständnis zwischen Jung und Alt zu stärken. Solche Projekte können als Katalysator für gesellschaftlichen Zusammenhalt dienen. Wenn Menschen sich in verschiedenen Kontexten begegnen und kennenlernen, entsteht ein stärkeres Gefühl der Gemeinschaft und Solidarität. Das wirkt sich positiv auf die gesamte Gesellschaft aus. Die Förderung von Begegnungsgelegenheiten wie in Verbänden, Vereinen, kulturellen oder politischen Veranstaltungen ist essentiell. Lokale Begegnungsräume, wie Bildungszentren, Bürgerzentren oder Veranstaltungsräume, sollten gefördert werden, um allen Generationen ausreichend Möglichkeiten zu geben, das Gefühl von Gemeinschaft zu erleben.
4. Zielgruppen erreichen, die sich nicht gehört fühlen
Politische Bildungsangebote richten sich oft an gut situierte und gebildete ältere Menschen. Das schafft eine Diskrepanz, da besonders diejenigen, die weniger privilegiert leben, sich schneller politisch abgehängt fühlen und ihre Bedürfnisse politisch weniger vertreten werden. Um diese Lücke zu schließen, müssen politische Bildungsangebote gezielt jene älteren Menschen erreichen, die traditionell unterrepräsentiert sind.
Das erfordert eine gezielte Zusammenarbeit mit Organisationen, die bereits Zugang zu vulnerablen Zielgruppen haben. Politische Bildung sollte inklusiv und zugänglich sein, sodass alle älteren Menschen die Möglichkeit haben, sich politisch zu beteiligen. Dazu gehören spezielle Programme für Menschen mit niedrigem Einkommen, geringer Bildung, körperlichen Einschränkungen, mit Migrationshintergrund oder von Einsamkeit betroffene Menschen. Die Zusammenarbeit mit bestehenden Vereinen, Verbänden und Organisationen, die sich auf diese Gruppen konzentrieren, ist entscheidend, um Barrieren abzubauen und die Zugänglichkeit zu erhöhen. Diese Kooperationen sollten durch eine stabile finanzielle Basis unterstützt werden, um langfristige und nachhaltige politische Bildungsangebote für alle zu gewährleisten und die Menschen abzuholen, bevor sie in extremistische Tendenzen verfallen (vgl. Schröter 2023, S. 264).
Politische Bildungs- bzw. Demokratiebildungsangebote müssen den Bogen spannen und Menschen die Möglichkeit zum Austausch und zur Mitbestimmung wiedergeben. Sie sollen einen Rahmen schaffen, in dem es für diese Zielgruppen möglich ist, über politische Prozesse informiert zu sein, eigene Standpunkte zu entwickeln und Selbstwirksamkeit zu erleben. Dies gilt sowohl für das eigene Wohn-Umfeld als auch in bundes- und europaweiten politischen Beteiligungsprozessen (Vgl. Schröter 2023, S. 264).
5. Niedrigschwellige und aufsuchende Zugänge schaffen
Viele ältere Menschen haben keinen einfachen Zugang zu politischen Bildungsangeboten, insbesondere in ländlichen Gebieten, in Wohneinrichtungen oder bei begrenzten finanziellen Ressourcen. Um den Zugang zu derartigen Angeboten zu erleichtern, ist es beispielsweise nötig, mit kostenlosen und unverbindlichen Bildungs- und Beteiligungsangeboten Menschen an ihnen vertrauten Orten, Quartieren und Stadtteilen aufzusuchen. Dort können die Themen, Alltagsbedürfnisse und Sorgen aufgegriffen werden, die zu Unsicherheit und Ängsten führen. Diese Themen sollten demokratisch verhandelt und gestaltet werden (vgl. BAGSO 2021, S. 361).
Es ist wichtig, dass politische Bildungsangebote zu den Menschen kommen, anstatt zu erwarten, dass sie von selbst zu den Angeboten finden. Darüber hinaus sollten Programme entwickelt werden, die sowohl offline als auch online zugänglich sind, um Menschen unabhängig von ihrem Zugang zur Technologie zu erreichen (vgl. BAGSO 2021, S. 361).
6. Gegen populistische Angebote konkurrieren
Populistische Angebote haben oft den Vorteil, dass sie einfache Lösungen für komplexe Probleme anbieten. Das macht sie für viele Menschen attraktiv. Um diesen populistischen Strömungen entgegenzuwirken, müssen politische Bildungsangebote nicht nur informative Inhalte bieten, sondern auch emotional ansprechend und dynamisch sein. Sie sollten innovative Methoden einsetzen, die die Interessen und Bedürfnisse der älteren Zielgruppe berücksichtigen.
Besonders ältere Menschen profitieren von Bildungsangeboten, die zum Mitmachen anregen, die ihre Selbstwirksamkeit stärken und den Kontakt untereinander fördern. Dabei ist es wichtig, dass die Teilnehmer nicht nur mit Informationen versorgt werden, sondern auch das Gefühl haben, Teil einer Gemeinschaft zu sein und an spannenden und sinnvollen Aktivitäten teilzunehmen. Ein erfolgreiches politisches Bildungsangebot sollte Stolz und Gemeinschaftsgefühl vermitteln und die Teilnehmenden ermutigen, aktiv an politischen und gesellschaftlichen Prozessen teilzunehmen.
Um die Menschen zu erreichen und zu binden, können politische Bildungsangebote sich an der Jugendverbandsarbeit orientieren. Ob es das lokale Engagement für eine saubere Stadt ist, das Kartenspiel zum Austausch über Privilegien, das Quiz zum Thema Nachhaltigkeit oder die Bildungsreise an einen politisch relevanten Ort wie den Bundestag oder ein Konzentrationslager. Durch ansprechende Angebote kann eine lebendige und engagierte Gemeinschaft geschaffen werden, die populistischen Angeboten eine konstruktive Alternative entgegensetzt und Menschen auffängt, die abzudriften drohen.
7. Politik für ältere Menschen muss Politik mit älteren Menschen sein
Politik für ältere Menschen sollte mit ihnen und nicht nur für sie gestaltet werden. Ältere Menschen bringen einen reichen Erfahrungsschatz mit, der aufgrund von Vorurteilen oder Unwissenheit oft übersehen wird. Ihre Lebensgeschichten und ihr gesellschaftliches Engagement sind wertvolle Ressourcen, die unsere Gesellschaft stärken. Diese Ressourcen sollten in der Politik berücksichtigt werden.
Ein Schlüssel dazu ist, in Verbänden, Kommunen und der Politik entsprechende Strukturen zu schaffen, die älteren Menschen eine aktive Rolle in der Politik ermöglichen. Beispiele sind Zeitzeugenarbeit, Mentorenprogramme oder generationsübergreifende Projekte, die den Wissensaustausch zwischen älteren und jüngeren Menschen fördern. Solche Initiativen stärken nicht nur ältere Menschen in ihrer Rolle als Bürger, sondern tragen auch zum gesellschaftlichen Zusammenhalt bei.
8. Seniorenvertretungen verbindlich etablieren
Seniorenvertretungen sind eine wichtige Schnittstelle zwischen älteren Menschen und der Politik. Diese unabhängigen Gremien ermöglichen es älteren Bürgern, ihre Interessen und Anliegen in kommunale und regionale Entscheidungsprozesse einzubringen. Derzeit gibt es bundesweit etwa 1.300 solcher Seniorenvertretungen, die als Sprachrohre für ältere Menschen agieren und Politik und Verwaltung in Fragen der Seniorenpolitik beraten.
Um die Arbeit der Seniorenvertretungen zu stärken, ist eine verbindliche rechtliche Grundlage entscheidend. Seniorenmitwirkungsgesetze oder entsprechende Regelungen in Gemeindeordnungen gewährleisten, dass diese Gremien klare Mitbestimmungsrechte haben und in politische Prozesse eingebunden werden. Die rechtliche Absicherung ermöglicht es den Seniorenvertretungen, effektiv zu arbeiten und die Interessen der älteren Bevölkerung zu vertreten. Derartige Gesetzesreglungen sind bisher noch nicht in allen Bundesländern erlassen worden, und die Gesetze, die dazu erlassen wurden, bieten meistens lediglich Handlungsempfehlungen und keine verpflichtende Vorgabe zur aktiven Einbeziehung der Seniorenvertretungen.
Die Arbeit der Seniorenvertretungen erfordert daher mehr als nur gesetzliche Regelungen. Es ist entscheidend, dass Politik und Verwaltung ihre Arbeit aktiv unterstützen, indem sie ihnen Zugang zu Ressourcen und Informationen gewähren. Dies umfasst sowohl finanzielle Mittel als auch infrastrukturelle Unterstützung wie Räume für Treffen und Veranstaltungen. Zudem sollten sie Möglichkeiten zur Weiterbildung und Vernetzung erhalten, um ihre Kompetenzen zu stärken (vgl. BAGSO 2021, S. 4ff.).
9. Politische Bildung für alle Generationen im Demokratiefördergesetz und in der Bundesstrategie verankern
Politische Bildung sollte als eine kontinuierliche Aufgabe betrachtet werden, die Menschen jeden Alters einbezieht. Daher ist es wichtig, politische Bildung im Alter im Demokratiefördergesetz zu verankern und sie als elementaren Bestandteil der Strategie der Bundesregierung „Gemeinsam für Demokratie und gegen Extremismus“ zu integrieren. Dies würde sicherstellen, dass politische Bildung im Alter als ein wesentlicher Pfeiler der Demokratieförderung und der Extremismusprävention anerkannt und gefördert wird.
Durch eine Verankerung in gesetzlichen und strategischen Rahmenbedingungen wird politische Bildung nicht nur als ein kurzfristiges Projekt betrachtet, sondern als eine langfristige und kontinuierliche Aufgabe, die dazu beiträgt, eine starke und widerstandsfähige Demokratie zu fördern. Dies würde auch sicherstellen, dass alle Generationen, einschließlich der älteren, Zugang zu qualitativ hochwertigen Bildungsangeboten haben, die sie befähigen, aktiv an der Gesellschaft teilzunehmen und gegen extremistische Tendenzen vorzugehen
Fazit
Die politische Bildung im Alter ist ein Schlüsselfaktor für eine engagierte und informierte Bürgerschaft. Um diesen blinden Fleck in unserer Gesellschaft zu beseitigen, müssen Politikerinnen und Politiker sowie Bildungsakteure gemeinsam daran arbeiten, älteren Menschen die Möglichkeit zur regelmäßigen Teilnahme an gut zu erreichenden, attraktiven und barrierearmen politischen Bildungsangeboten teilzunehmen. Eine gut informierte und politisch involvierte ältere Generation ist ein wichtiger Stein in der Mauer zur Stärkung unserer Gesellschaft notwendig, um die Herausforderungen der Zukunft zu bewältigen!
Lesen Sie dazu mehr in den vorherigen bzw. folgenden Artikeln:
Teil 1: Start in das Schwerpunktthema politische Bildung im Alter
Teil 2: Wieso eine gesunde Demokratie politische Bildung im Alter braucht
Teil 3: Die Digitalisierung als zusätzlicher Risikofaktor für die politische Bildung älterer Menschen
Teil 4: Politische Bildung als Lösung?
Teil 5: Der Mangel an politischen Bildungsangeboten für ältere Menschen
Teil 6: Verstärkende Faktoren für politische Unzufriedenheit
Quellen:
- Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (BAGSO). Mitentscheiden und Mitgestalten. Politische Teilhabe älterer Menschen fördern (2021). Bonn. Online unter: BAGSO-Positionspapier: Mitentscheiden und Mitgestalten. Politische Teilhabe älterer Menschen fördern (Stand: 26.09.2023)
- Schröter, F., Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.) (2023): Die distanzierte Mitte. Rechtsextreme und Demokratiegefährdende Einstellungen in Deutschland 2022/23. Bonn. Online unter: #_MS-2023_Titel-Mitte.indb (fes.de)
- Stollreiter S., Friedrich-Ebert-Stiftung (2011): Tagungsdokumentation: SeniorInnen gegen „rechts“? Demokratische und antidemokratische Einstellungen von SeniorInnen und Folgen für die politische Bildungsarbeit. Online unter: SeniorInnen gegen „rechts“? : Demokratie und antidemokratische Einstellungen von SeniorInnen und Folgen für die politische Bildungsarbeit (fes.de) (Stand 26.09.2023)