Der erste Schwerpunkt der Servicestelle „Bildung und Lernen im Alter“ zum Thema kulturelle Bildung im Alter ist gestartet. Daher möchten wir uns zunächst der Frage widmen, was wir eigentlich unter dem Begriff der „kulturellen Bildung“ verstehen und warum sie auch im hohen Alter noch ein wichtiges Thema mit hohem Nutzen für die persönliche Entwicklung und die Gesellschaft ist. Während dieses Schwerpunktes möchten wir außerdem Konzepte, Ideen, Anlaufstellen, Projekte und Links mit Ihnen teilen, die Sie zum Thema kultureller Bildung für ältere Menschen beraten, sie finanziell & ideell unterstützen oder ein Vorbild sein können. Bei der Gestaltung des Schwerpunkts und der folgenden Erläuterungen wurden wir unterstützt vom Kompetenzzentrum für Kulturelle Bildung im Alter und inklusive Kultur (kubia).
Los geht es nun aber mit der wichtigsten Frage:
Was ist kulturelle Bildung?
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Erklärvideo • Was ist kulturelle Bildung? • Persönlichkeitsentwicklung in Kindergärten und Schulen • – YouTube (Quelle: Bundesvereinigung kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ))
Kulturelle Bildung umfasst den Prozess des Lernens und der Auseinandersetzung des Menschen mit sich selbst, seiner Umwelt und der Gesellschaft mithilfe von Kunst und Kultur.
Sie findet statt, wenn Menschen sich künstlerisch oder spielerisch mit Objekten und Themen beschäftigen, wenn sie auf diesem Weg die Welt begreifen oder nach ihren Vorstellungen verändern und mitgestalten. Wenn sie über ihre Wahrnehmung sprechen und mit anderen Menschen über Positionen in Verhandlung treten. Kulturelle Bildung passiert nicht nur theoretisch: an ihr ist oft der ganze Körper, die Gefühle und der Verstand beteiligt. Dabei ist es unwichtig, in welchem Kontext und durch welche Ausdrucksform kulturelle Bildung auf uns einwirkt. Im Ergebnis bedeutet kulturelle Bildung die Fähigkeit zur erfolgreichen Teilhabe an kulturbezogener Kommunikation, mit positiven Folgen für die gesellschaftliche Teilhabe insgesamt.
Kulturelle Bildung ist nicht an bestimmte „Einrichtungen“ gebunden, sondern findet an unterschiedlichen Orten und in verschiedensten Formen statt. Bei einigen Einrichtungen gehört die kulturelle Bildung zu den zentralsten Aufgaben (z. B. Theater & Opernhäuser, Museen, Musikschulen, Kulturzentren & Kulturvereine, Bibliotheken, Radio & Fernsehen, etc.). Sie findet aber auch in vielen anderen Bereichen, Angeboten oder Initiativen statt (in Altenheimen, offenen (Senioren-)Treffs, Mehrgenerationenhäusern, beim Spielen mit den Enkelkindern, beim Lesen zuhause oder im Internet). Organisiert werden diese Angebote häufig von Initiativen & Vereinen, aber auch von Privatpersonen & Interessierten an dem Thema.
Beispiele für kulturelle Bildungsangebote gibt es also viele:
- im Sport-Verein bei einem gemeinsamen Ausflug zu einem Kulturort
- im Chor durch die Musikauswahl und die gemeinsamen Proben
- in einem Kurs zu kreativem Schreiben im Mehrgenerationenhaus um die Ecke
- bei einem internationalen Kochkurs mit anderen Menschen aus der Nachbarschaft
- im Internet bei einem Selbstlernkurs zum Thema Digitalfotografie
- in einer Theatergruppe für Senioren und Seniorinnen
- in einer Museumsführung für Menschen mit Demenz und ihre Angehörige
Warum ist kulturelle Bildung auch im Alter wichtig?
Auch wenn im Video vor allem die Zielgruppe Kinder und Jugendliche angesprochen wird, so hat kulturelle Bildung auf ältere Menschen ähnliche Effekte. Die Forschung zeigt längst: Auch im Alter können wir uns verändern und entwickeln. Unsere Persönlichkeit ist nicht irgendwann festgeschrieben, sondern abhängig von unserer Umwelt, unseren gesellschaftlichen Rollen und den Menschen, mit denen wir uns umgeben. Kulturelle Bildung kann Impulse geben, die eigene Biografie zu erforschen und zu erweitern. Neue Fähigkeiten können mithilfe von kultureller Bildung im Alter sinnstiftend erlernt und ganz nebenbei soziale Kontakte vertieft und erweitert werden. Darum wollen wir Sie hier nochmal auf die Argumente aufmerksam machen, die unserer Meinung nach für mehr kulturelle Bildung im Alter sprechen:
1
Es gibt ein Recht auf kulturelle Teilhabe und kulturelle Bildung im Alter
Das Recht auf kulturelle Teilhabe wird durch die allgemeinen Menschenrechte (AEMR, Artikel 27, 1) garantiert. Nach dem Sozialgesetzbuch XII ist es älteren Menschen in Deutschland unabhängig von ihrem Einkommen und ihrem Vermögen zu ermöglichen, dass sie nicht nur Beratung und Unterstützung sowie Einladungen zum geselligen Beisammensein erhalten, sondern ihnen Bildung und Kultur sowie Möglichkeiten zum gesellschaftlichen Engagement geboten werden (§ 71 Abs. 2 SGB XII). Eines der wichtigsten Ziele kultureller Bildung im Alter ist es, gesellschaftliche und kulturelle Partizipation zu ermöglichen. Dazu müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die älteren Menschen unabhängig von ihren physischen, psychischen und kognitiven Voraussetzungen, ihrer Herkunft, ihren Geschlechtsidentitäten und ihren Lebenslagen sowie Wohnorten die Teilnahme, Teilhabe und Teilgabe an qualitativ hochwertiger Kunst und Kultureller Bildung ermöglichen.
2
Neue Bilder vom Alter(n), von sich selbst und der Welt entwickeln
Kulturelle Bildungspraxis bietet Gelegenheiten, Bilder vom Alter(n) neu zu gestalten sowie Rollen, Identitäten und Positionen zu wechseln, zu entwickeln und auch infrage zu stellen. In der Auseinandersetzung mit anderen Entwürfen für ein gutes Leben im Alter entstehen neue Perspektiven. Für viele ältere Menschen bietet kulturelle Bildung einen Weg, sich in der nachfamiliären und -beruflichen Phase neu zu orientieren und individuelle Möglichkeiten von sinnvoller Lebensgestaltung und gesellschaftlichem Engagement zu finden. Ältere Menschen setzen sich gemeinsam mit anderen spielerisch und künstlerisch mit sich und der Welt auseinander und verändern gegebenenfalls ihre Selbst- und Weltbilder sowie ihre Altersbilder. Sie schaffen etwas, das für sie Bedeutung hat, teilen es mit anderen und machen Kreativität im Alter öffentlich sichtbar.
3
Eigene Stärken erkennen und entwickeln
Wenn ältere Menschen an Angeboten der kulturellen Bildung teilnehmen, können sie Stärken und Fähigkeiten an sich entdecken und entwickeln, die ihnen vielleicht noch gar nicht bewusst sind. Sich selbst als lernfähig, erfinderisch und wirksam zu erleben, fördert den Mut und die Lust, sich neuen Herausforderungen zu stellen. Kulturelle Bildung wirkt empowernd, stärkt das Vertrauen in die eigenen Möglichkeiten und regt zur Reflexion von Gestaltungsspielräumen an.
4
Persönlichen Interessen nachgehen
Angebote kultureller Bildung bieten Senioren und Seniorinnen die Gelegenheiten, individuellen Fragen und Interessen nachzugehen und Themen zu vertiefen, die sie beschäftigen und für die sie gegebenenfalls in anderen Lebensphasen aufgrund von beruflichen und familiären Verpflichtungen keine Zeit hatten. Sie können Lernerfahrungen frei von äußerem Druck machen. Bildung und Lernen können in der kulturellen Bildung als etwas Schönes und Spielerisches erlebt werden, das man selbst gestalten kann.
5
Analoge und digitale kulturelle Ausdrucksformen nutzen und reflektieren
Kulturelle Bildung ermöglicht das Kennenlernen, das Erproben, Erlernen und Vertiefen kultureller Ausdrucksformen. Diese verändern sich stetig, nicht nur durch Digitalisierung und digitale Kommunikationsformen. In der Praxis kultureller Bildung können ältere Menschen in analogen und digitalen Welten experimentieren, sie erkunden und verknüpfen. So können Menschen unabhängig von ihren Vorerfahrungen sich zusätzliches Wissen über digitale Medien aneignen oder vorhandenes Wissen vertiefen. Digitale Medien und soziale Praktiken der Mediennutzung können im Rahmen Kultureller Bildung aber auch kritisch reflektiert werden.
6
Perspektiven wechseln und biografische Erfahrungen verarbeiten
Kultur, Kunst und ästhetische Erfahrungen bieten die Chance, die Welt aus neuen Blickwinkeln zu betrachten. Sie regen dazu an, Gewohntes zu hinterfragen, ungewohnte Perspektiven einzunehmen und zu bedenken, dass es zu einer Frage verschiedene Antworten und für ein Problem unterschiedliche Lösungen geben kann. Kulturelle Bildung bietet Möglichkeiten, eigene Erfahrungen zu erkunden. Das können Erfahrungen und Erinnerungen des Glücks, aber auch der Enttäuschung, der Trauer oder des Verlusts sein. Kulturelle Bildung im Alter ermöglicht die Arbeit an der eigenen Biografie, die Gestaltung von biografischen Übergängen im Alter und auch die Verarbeitung von kritischen Lebensereignissen.
7
Unterschiedlichkeit und Vielfalt als Normalität erleben
In Angeboten der kulturellen Bildung können ältere Menschen ihre individuellen Sichtweisen ausdrücken. Sie können sich selbst und anderen zeigen, wie sie sich und die Welt erfahren und was sie darüber denken. In einem kreativen und offenen Umfeld können unterschiedliche Perspektiven, Hintergründe und kulturelle Prägungen thematisiert, überdacht und im Medium der Künste zum Ausdruck gebracht werden. Vorurteile und Stereotype können so leichter abgebaut und kulturelle, generationale oder soziale Unterschiede überbrückt werden. Auch soziale Praktiken, mit denen wir Unterscheidungen überhaupt erst machen, werden so bewusster wahrgenommen.
8
Generationendialoge anregen
Kulturelle Bildung öffnet Räume für Generationenbegegnungen, Generationendialoge und intergenerationelles Lernen. Aufgrund des demografischen Wandels und der Tatsache, dass Familien zum Teil weit auseinander wohnen, fehlen oft intergenerationelle Kontaktzonen. Die großen gesellschaftlichen Transformationsprozesse unserer Zeit – der demografische Wandel, die Verteilung von Care-Arbeit, Diversitäts- und Identitätspolitik, der Umgang mit der Corona-Pandemie und nicht zuletzt der Umgang mit dem Klimawandel – werden in der Öffentlichkeit auch unter dem Vorzeichen von Generationenkonflikten diskutiert. Kulturelle Bildung im Alter beinhaltet intergenerationelles Lernen, bei dem es um den Umgang mit Generationenambivalenzen, um Generationengerechtigkeit und Nachhaltigkeit geht.
9
Soziale Kontakte knüpfen
Durch kulturelle Bildung können ältere Menschen neue soziale Kontakte knüpfen, aktiv am gesellschaftlichen Leben teilnehmen und sich in ihrem Umfeld engagieren. Kulturelle Teilhabe fördert das soziale Miteinander, erweitert den Horizont und ermöglicht neue Begegnungen und Kontakte.
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Kulturelles Erbe reflektieren und bewahren
Kulturelle Bildung ermöglicht älteren Menschen die Auseinandersetzung mit dem kulturellen Erbe. Sie können ihre eigene Geschichte und Traditionen bewahren, pflegen, im intergenerationellen und transkulturellen Dialog aber auch kritisch reflektieren: Was gilt als kulturelles Erbe und was wird davon ausgeschlossen? Was sollte weitergegeben werden und wie kann es vermittelt werden? Diese Auseinandersetzung fördert das Bewusstsein für unterschiedliche kulturelle und generationale Sichtweisen auf kulturelles Erbe und seine Weitergabe.
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Gesundheit und Wohlbefinden fördern
Es ist erwiesen, dass kulturelle Bildung positive Auswirkungen auf die Gesundheit und das Wohlbefinden älterer Menschen hat. Durch kreative Aktivitäten können kognitive Fähigkeiten gefördert, die motorische Koordination verbessert und die geistige Beweglichkeit erhalten werden. Zudem kann kulturelle Bildung als Präventionsmaßnahme gegen körperliche und geistige Erkrankungen im Alter dienen, indem sie soziale Isolation verhindert und die geistige Aktivität fördert. Die Teilnahme an kulturellen Bildungsangeboten im Alter ist mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit für Einsamkeit und Depressionen verbunden.
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Die Welt verändern, sich kulturell engagieren, sichtbar & selbstwirksam sein
Kulturelle Bildung und Kulturprojekte ermöglichen älteren Menschen, sich kritisch und kreativ mit dem eigenen Selbstverständnis, gesellschaftlichen Altersbildern und Altersdiskriminierung, dem kulturellen Erbe, der aktuellen gesellschaftlichen Situation und mit Zukunftsperspektiven auseinanderzusetzen. Ältere Menschen werden so ermutigt, auf der Basis ihres umfangreichen Erfahrungswissens Visionen zu entwickeln und gesellschaftliche Entwicklungen mitzugestalten. Kunst und Kultur bieten Wege, das Wissen von älteren Menschen in die Gesellschaft einzubringen und die Kompetenzen älterer Menschen in der Öffentlichkeit sichtbarer zu machen. Auf diese Weise erfahren Ältere mehr öffentliche Anerkennung und Resonanz.
Im Sinne nicht nur von Teilhabe, sondern auch von Teilgabe älterer Menschen, fördert kulturelle Bildung im Alter auch das freiwillige Engagement älterer Menschen im Kulturbetrieb.
Quellen:
Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ)): Was ist Kulturelle Bildung? | Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e. V. (BKJ) (Stand vom 13.04.23)
Ermert, Karl (2009), Bundeszentrale für Politische Bildung, Was ist kulturelle Bildung; Was ist kulturelle Bildung? | Kulturelle Bildung | bpb.de (Stand vom 13.04.23)
Fricke, Almuth; Haller, Miriam (2023), Alter spielt (k)eine Rolle! Kulturpolitik für ältere Menschen. In: Crückeberg, J., Heinicke, J., Kalbhenn, J., Landau-Donnelly, F., Lohbeck, K., Mohr, H. (Hrsg.), Handbuch Kulturpolitik. Springer VS, Wiesbaden, online unter https://doi.org/10.1007/978-3-658-34381-1_58-1 (Stand vom 22.06.2023)
Groote, Kim de (2013/2012), Kulturelle Bildung im Alter. kubi-online. https://www.kubi-online.de/artikel/kulturelle-bildung-alter. (Stand vom 22.06.2023)
Groote, Kim de; Fricke, Almuth (2010), Kulturkompetenz 50+. Praxiswissen für die Kulturarbeit mit Älteren, Kopaed, München 2010.